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Traditionelle Lehre überfordert die meisten Flüchtlinge

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von Rainer Langelüddecke

Deutschland hat einen Fachkräftemangel, der sich nicht mit den Flüchtlingen lösen lässt. Hierzu braucht unser Land eine qualifizierte Einwanderung.  Es besteht aber die Chance, aus den derzeit rund 600.000 Flüchtlingen unter 25 Jahren eine stattliche Anzahl zu qualifizieren.  Rund 400.000 dieser jungen Leute sind aber funktionale Analphabeten. Im Bildungsschnitt liegen sie rund vier Jahre hinter deutschen Schulabgängern.  Auf der Hand liegt, dass sie keine traditionelle deutsche Lehre meistern können. Abbrecherzahlen in Handwerksberufen mit Quoten von über 70 % sprechen dafür.

Die herkömmliche Lehrberufsausbildung taugt nicht für die niedrige Qualifikation, die ein Großteil der Flüchtlinge mitbringt. Sie taugt aber auch nicht für die spezielle Situation der jungen Flüchtlinge.  Derzeit sind sie in der Regel vormittags fünf Stunden im Integrations-(Sprach)kurs, nachmittags verbringen sie ihre Zeit mit Warten. Warten, nicht zupacken können, bestimmt das Leben dieser jungen Menschen. Statt zu ihrem Lebensunterhalt oder dem der Familie beitragen zu können, sind sie zur Tatenlosigkeit gezwungen. Also brauchen wir in Deutschland eine Teilzeitausbildung. Morgens lernen, nachmittags arbeiten oder andersherum.

Die Berufsschulen müssen sich flexibel neu organisieren. Halbtagsklassen, vormittags, nachmittags oder auch geteilt in Wochenabschnitte müssen eingerichtet werden. Der Spracherwerb ist zudem gestrafft und zwingend zu fördern und zu fordern. Sinnvoll und zielführend ist eine Stufenausbildung. Denn die traditionelle Form der Lehre überfordert die meisten Flüchtlinge.

Zwar diskutiert man eine Stufenausbildung schon seit 40 Jahren, also eine Lehre mit 1. Abschluss nach einem Jahr, mit einem 2. nach zwei Jahren und dem hochwertigen 3. Abschluss nach drei Jahren. Aber Arbeitgeber und Gewerkschaften haben bisher die Chance vertan, auch Schwächere wenigstens ein wenig zu qualifizieren. Stattdessen hält man bis heute daran fest, jedem das gleiche Wissen in der gleichen Zeit beizubringen. Das taugt nicht für Flüchtlinge, die pädagogisch anders angeleitet und effizient zu sinnvollen Ausbildungsstufen herangeführt werden müssen.

Die Einheitsausbildung darf kein Tabu mehr sein. Die Unternehmen müssen sich von dem herkömmlichen Bild einer „gegossenen“ Berufsausbildung lösen. Es ist Sache der Wirtschaft, Veränderungen vorzuschlagen und einzufordern. Gewerkschaften, Verbände, die Industrie- und Handelskammer, die Handwerkskammern, die Bundesagentur für Arbeit müssen sich zusammentun und neue Wege denken. Experimentiert wird schon beim DIHK, in Bayern und Baden-Württemberg wird Teilqualifizierung stellenweise schon praktiziert. Aber Gewerkschaften und etliche Handwerkskammern haben Angst davor und starke Widerstände. Aber der Reform-Widerstand bröckelt.  

Beispiel: Die Zeitarbeit-Arbeitgeber haben schon ein dreistufiges Modell etabliert, das den Produktionshelfer vom Produktionsassistenten und der Produktionsfachkraft unterscheidet. Das läuft in Stufen ein bis drei Jahre. Allerdings sperren sich die Kammern mit der Anerkennung, so dass die Kurz-Lehren von ein und zwei Jahren dann der TÜV zertifiziert. Die eine Dreijahres-Lehre durchlaufen haben, gehen dann zur Externenprüfung bei der IHK. Das Beispiel zeigt also auf, dass man unterschiedlich qualifizieren kann.  

Der Wille zum Wandel zählt. Die Politik und die Akteure (siehe oben) müssen sich bewegen.  Die Teilzeitausbildung, die gestuften Qualifikationsziele der Ausbildungsstufen und eine Kombination von Ausbildungsvergütung und Arbeitslohn sind die alternativen Schritte für eine bedarfsgerechte Qualifikation des großen Potenzials unter den jungen Flüchtlingen. Die Teilzeitausbildung muss für junge Leute finanziell attraktiver gestaltet sein als eine reine Hilfsarbeit oder die Sozialhilfe. In einem Zeitraum von zehn Jahren kann diese Reform als Parallelsystem für Flüchtlinge und Langzeitarbeitslose eingesetzt werden: Modulare Ausbildungsteile und Teilzeit-Ausbildung. Das bewährte duale Ausbildungssystem wird dadurch nicht tangiert. Aber das neue System ist eine Ergänzung für die, die sonst scheitern oder als Flüchtlinge nie eine Perspektive bekommen könnten. Diesen Menschen eine reale Lebensperspektive zu bieten, die zugleich auch unserem Wirtschaftsgefüge nutzt und die soziale Wohlfahrt mit eigenständigem Leistungserfolgen anreichert, muss eine Aufgabe sein, die in kurzer Zeit erreicht wird. (Rainer Langelüddecke ist Geschäftsführer des Fachverband Werkzeugindustrie e. V.)


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