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Journalismus: Sorgfalt, Transparenz & Verantwortung

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Foto: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

"Sorgfalt, Transparenz und Verantwortung sind und bleiben die Kernprinzipien des seriösen Journalismus", erklärte Bundespräsident Joachim Gauck am vergangenen Dienstag in seiner Rede anlässlich des 65. Geburtstags der Bundespressekonferenz in Berlin. Newsroom.de hat sie dokumentiert (alle Reden des Bundespräsidenten gibt es unter www.bundespraesident.de.).Der Waterbölles zitiert daraus:

„Als Urgrund allen Übels wird oft die zunehmende Beschleunigung identifiziert, die Geschwindigkeit, mit der Informationen heutzutage verarbeitet und kommuniziert werden. (...) Die Erfahrung der Beschleunigung ist gerade der industriellen Moderne ein ständiger Wegbegleiter – ebenso wie die Klage über deren Nebenwirkungen. (...) Über manche alte Horrorvision schmunzeln wir heute. Aber viele schmunzeln keineswegs, wenn sie die Warnungen vor dem sogenannten Turbojournalismus des Internetzeitalters hören. (...) Auf der anderen Seite des Meinungsspektrums stehen jene, die im Internet deutlich mehr Chancen als Risiken sehen, auch für den Journalismus und besonders die Hauptstadtberichterstattung. Sie loben, dass im Netz ein jeder Gehör finden kann, dass die Schwelle zum Publizieren sinkt, dass Bürger sich beteiligen oder so auch Journalisten kontrollieren können. Sie sehen im World Wide Web einen Demokratisierungsmotor, eine neue Plattform für die aufgeklärte Gesellschaft, so eng vernetzt und so gut informiert wie nie zuvor. (...) 

Nie konnten Journalisten sich schneller und tiefschürfender informieren. Nie mussten sie aber auch Informationen schneller verarbeiten. Nie mussten sie in kürzerer Zeit die Glaubwürdigkeit ihrer so schnell erreichbaren Quellen prüfen und sich dann ein eigenes Urteil bilden. Wenn es um Berichterstattung und harte Fakten geht, um kurze Meldungen, dann lässt sich diese Aufgabe nach meiner Beobachtung besser bewältigen, als wenn Analyse und Bewertung in den Vordergrund treten. Denn wer interpretieren und kommentieren will, der braucht nicht nur eine solide recherchierte Grundlage, sondern auch Gelegenheit zum Nachdenken. Qualität braucht Zeit. Sonst ist die Gefahr groß, dass nur das nächstliegende Klischee wiederholt und vorschnell der Stab gebrochen wird über Menschen und Ideen. So entsteht das Gerücht, die Vorverurteilung, der Skandal, der vielleicht gar keiner ist. So geraten Behauptungen in die Welt, die nur schwer rückholbar sind, und Urteile über Menschen, die haften bleiben, eben auch Fehlurteile. Und wir wissen doch nach zahlreichen selbstkritischen Wortmeldungen im deutschen Journalismus des zurückliegenden Jahres, dass wir eigentlich nicht nur über abstrakte Gefahren sprechen, sondern über konkrete Sachverhalte. (...)

Qualitätsjournalismus, wie wir alle ihn wünschen müssen, ist ein Journalismus, der Versuchungen erkennt und ihnen widersteht. Es darf nicht zur Regel werden, dass Themen, die eigentlich einen langen Atem brauchen, schnell wieder von der Agenda verschwinden. Stattdessen sind diejenigen Leser, Hörer und Zuschauer zu unterstützen, die fragen: (...) Was aus der Person, die vor kurzem noch im Mittelpunkt eines Skandals stand? (...) Welche Angst wurde durch den Brandbeschleuniger Hysterie zu einem Massenphänomen – und welche ernsthafte Bedrohung wurde verniedlicht oder gar nicht wahrgenommen? (...)

Zweifellos befindet sich unsere Gesellschaft in einem Anpassungsprozess, die Medien als Pfadfinder der Informationsgesellschaft vorneweg. Wir alle müssen umgehen lernen mit der beständigen Zunahme verfügbarer Informationen und ihrer beschleunigten Verbreitung. Wir müssen umgehen lernen mit der wachsenden Verfügbarkeit von Information an jedem Ort und zu jeder Zeit. Und wir müssen unter veränderten Bedingungen neu lernen, die Seriosität von Informationen und Quellen kritisch zu hinterfragen. Darin liegt eine besondere Verpflichtung für den Online-Journalismus und zugleich auch eine große Chance. (...)

Als ich vergangenen Herbst beim Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, beim großen Zeitungskongress zu Gast war, da war viel vom Zeitungssterben die Rede. Aber ebenso viel von der Hoffnung auf eine neue Phase des Informationszeitalters, in der es gelingen wird, Informationen auf neue Weise gewinnbringend zu verbreiten. Gewinnbringend deshalb, weil es auch künftig Nachfrage geben wird. Das Bedürfnis nach Fakten und solider Information, nach Erklärung und Einordnung von Geschehnissen in große Zusammenhänge, nach vertrauenswürdigen Quellen – all das wird bleiben. Dieses Bedürfnis haben die allermeisten Menschen. Auch die junge Generation hat es, sie bedient sich nur neuer Medien. Diejenigen, die heute lernen, sind im Durchschnitt bestimmt nicht weniger klug oder anspruchsvoll als die Generation der Gründer der Bundespressekonferenz. Aber die Art der Wissensaneignung, die Halbwertszeit von Interessen, die Dauer und die Amplituden von Debatten, die haben sich verändert.

Das bedeutet für Medien (...) eine nachdrückliche Einladung zum Wandel. Und für das, was an manchen Schulen Medienerziehung genannt wird, bedeutet es vielleicht auch den Merksatz: Sei skeptisch, wenn um 11.07 Uhr über einen neuen Vorwurf gegen einen Politiker berichtet wird und um 11.08 Uhr der erste Kommentar dazu folgt. (...)Berichterstattung war bereits 1949, als die Bundespressekonferenz gegründet wurde, ein hektisches, fehleranfälliges Geschäft. Zur Vermeidung von Fehlleistungen wurden die Pressekodizes erfunden. Die brauchen wir auch künftig – für die alten wie für die neuen Medien. Sorgfalt, Transparenz und Verantwortung sind und bleiben die Kernprinzipien des seriösen Journalismus. Und ich wiederhole gern, was ich bei anderer Gelegenheit gesagt habe: Prekäre Arbeit ist keine stabile Basis für verlässliche Inhalte. Wer an dem spart, was nur Menschen und nicht Maschinen in einen journalistischen Prozess einbringen können, der spart an der falschen Stelle.“


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