von Dr. Wilhelm R. Schmidt
In einer bergischen Aufzeichnung, die nun auch schon über siebzig Jahre alt ist, fand ich vor einiger Zeit Informationen über das Areal, auf dem im Jahre 1910/11 das Lenneper Kaufhaus Dörrenberg erbaut wurde, das mit seiner langen Geschichte und dem auch schon langjährigen Leerstand die Lenneper Gemüter bis heute laufend beschäftigt. Just an dieser Ecke der Kölner Straße zur Wupperstraße hatte zuvor die Gaststätte von Julius Vollmer gestanden. In ihr tagte die Gesellschaft Union. Die Gesellschaftsräume bei Vollmer standen überwiegend nur der Gesellschaft Union zur Verfügung, sie wurden aber auf Antrag auch weiteren Vereinen überlassen, so dem Schützenverein für seine Generalversammlungen und besonderen Festlichkeiten.
Die Vereinsabende der Union wurden in der ersten Zeit des Bestehens mit Kegelspiel, Lesen von Zeitungen und Zeitschriften sowie mit Unterhaltungen verbracht. Das erinnert an englische Clubs, und man fragt sich, ob sich nicht auch das eine oder andere Mitglied dort einfand, um abseits des Geschäftslebens und vielleicht auch abseits der Familie ein gehöriges Schläfchen im Sessel zu halten, natürlich mit einer Zeitung über den Augen, so wie wir dies aus alten Filmen kennen. Später veranstaltete man auch Vortragsabende, Theatervorstellungen und Konzerte, in der Hauptsache aber pflegte man den Lenneper Kontakt und war unter sich.
Das eingangs erwähnte Protokollbuch sagt über die Gesellschaft Union aus, dass sie am 28. Februar 1828 gegründet wurde. Das Buch selbst stammt jedoch aus späterer Zeit, nämlich aus den Jahren um 1850, die ersten Niederschriften des Vereins waren damals wohl auch schon verlorengegangen. Man liest darin über die Wahl einer Kommission (mit den Mitgliedern Salomon Engels, H. Wallbracht, Franz Hasselkus sowie die Lehrer Werner und Richard Werner), die eine neue Satzung der Generalversammlung vorzulegen hatten. Darin wurde als Zweck der Gesellschaft angegeben, dass man die Geselligkeit und das Vergnügen pflege, verbunden mit strenger Ordnung und Sitte. Zwar konnte sich jeder gebildete Mitbürger von unbescholtenem Ruf zur Aufnahme melden, aber man sorgte wohl dafür, dass sich kein Unberufener, wie es damals hieß, in diesen Kreis einschlich, denn das Protokollbuch vermerkt auch häufig eine Ablehnung von Aufnahmeanträgen. Abgestimmt wurde zu dieser Zeit geheim mit farbigen Billardkugeln.
In dem Protokollbuch finden sich viele Namen von Lenneper Bürgern, deren Nachkommen auch heute noch in Lennep ansässig sind, oder aber die wir aus den der Lenneper Geschichte kennen, wie Spicker, Schmitz, Peipers, Hammacher, Hackenberg, Frowein, Grüderich, Groß, Sieper, Lambeck, Berghaus, Seringhaus, Girardet, Pitscher, Hausmann, Kluthe, Boucke, Hilger, von Pollheim, Bellingrath, Brückelmann, Schüssler, Kühner, Dürholt, Schmidt und Haas, Schlieper, Leysieffer, Mosblech, Trautwein, Witscher, Johnen, Wehner, Temsfeld, vom Berg, Zimmer, Mühlinghaus und viele andere. Wenn man genauer hinsieht, so handelte es sich weit überwiegend um Vertreter des bürgerlichen Mittelstands, auch wenn sie ggf. schon reich geworden waren (die wirklich Großkopferten wie die Familie Hardt sucht man in dem Buch vergebens; diese verkehrten in anderen, oft auch überregionalen Kreisen).
Die Gesellschaft Union bezog in er Mitte des 19. Jahrhunderts für ihre Mitglieder zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften. Da finden wir außer dem Lenneper Kreisblatt die Elberfelder Zeitung, die Tribüne, den Kladderadatsch und die Gartenlaube, den Humorist, die Leipziger Illustrierte Zeitung, Westermanns Monatshefte, die Augsburger Allgemeine Zeitung, die Berliner Volkszeitung und in den 1870er Jahren noch das seinerzeit aktuelle Organ Der Kriegsschauplatz. Die Zeitungen und Zeitschriften wurden übrigens in gewissen zeitlichen Abständen an Interessenten versteigert, und ich selbst kann mich erinnern, gehört zu haben, dass noch im Jahre 1932, als mein Urgroßvater an der Lenneper Knusthöhe starb, im Garten ein großer Haufen derartiger historischer Publikationen verbrannt wurde..
Wie vieles dem Wandel der Zeiten unterworfen ist, so änderte sich im Laufe der Jahre auch das gesellschaftliche Leben, so auch in Lennep. Entscheidend war nach der Wende ins 20. Jahrhundert dafür vor allem der Erste Weltkrieg mit seinen allumfassenden Folgen. Auch die Gesellschaft Union wurde bereits 1914 ein Opfer der Verhältnisse, was durchaus nicht nur an dem Verlust des traditionellen Vereinslokals lag. Die Zeiten einer solchen Gesellschaft waren sozusagen vorbei, die Welt wurde hektischer und die Nachrichten schneller und weitaus umfassender. In früheren Zeiten bestand ein großes Bedürfnis nach Gesellschaften wie der der Union, denn außer gelegentlichen Theatervorstellungen auswärtiger Truppen und Konzerte gab es Lennep eigentlich nur die Schützenfeste als allgemeine und für alle Schichten und Bevölkerungsgruppen wichtige Ereignisse. Im Gegensatz dazu waren die Gesellschaften meist sehr schichtspezifisch angelegt und vereinigten jeweils bestimmte Kreise bzw. Berufsgruppen. Es heißt wohl zu Recht, dass in der Kreisstadt Lennep die Standesunterschiede im Öffentlichen Leben sehr ausgeprägt waren. Außer der Gesellschaft Union bestand noch die Kaufmannsgesellschaft, die zunächst in den oberen Räumen des Amtsgerichts am Alten Markt zusammenkam, und später das Gebäude an der Bergstraße unterhalb des Bahnhofs bauen ließ. Auch diese Gesellschaft kam während des Weltkriegs an ihr Ende, ebenso die um 1848 gegründete Parlamentsgesellschaft, die in der Berliner Straße und zeitweise gegenüber dem Berliner Hof tagte, sowie die Gesellschaft zum Roten Ochsen an der unteren Kölner Straße.