von Burkhard Mast-Weisz, Oberbürgermeister der Stadt Remscheid
mit welchen Wünschen und Erwartungen sind Sie, sind wir in das Jahr 2020 hineingegangen und was ist daraus geworden? Ich glaube, wir haben mit vielem gerechnet, nur nicht mit diesem Ablauf. Seit Ende Februar dreht sich fast alles nur noch um die Pandemie, Lockdown, Kurzarbeit, Verzicht auf Sport, Kultur und vieles mehr.
Unser Leben hat sich völlig verändert. Unsere Kommunikation ist digitaler geworden, manchmal sehr praktisch, manchmal nur noch nervend. Unser Leben ist ein wenig einsamer geworden: sich mit Freunden treffen, gemeinsam ins Kino gehen oder ins Restaurant, in ein Konzert oder ins Stadion (endlich erste Liga), all das klappte im Verlaufe dieses Jahres kaum. Die materielle Situation vieler Menschen hat sich coronabedingt verschlechtert. Die Schulden unsere Stadt, des gesamten Landes steigen wieder: die Kompensation von Ertragseinbrüchen, der Ausfall von Gebühren, die Sicherung von Unternehmen, all das wird die nachfolgenden Generationen noch lange teuer zu stehen kommen. Remscheid wird seine coronabedingten Steuerausfälle und Mehraufwendungen ab 2025 über 50 Jahre abschreiben und muss dazu Jahr für Jahr ca. 4 Mio. zusätzlich erwirtschaften bzw. aufbringen.
Die materiellen Konsequenzen der Pandemie sind das eine. Mindestens genauso besorgniserregend sind die politischen und sozialen Zuspitzungen. Die Menschen verändern sich in der Krise: ängstliche werden noch ängstlicher, Skeptiker werden noch skeptischer, Zweifler noch zweifelnder, Kritiker noch kritischer, Ablehnende noch ablehnender. Verschwörungstheorien, sogenannte Querdenker werden wöchentlich mehr, politische Trittbrettfahrer aus der rechtsextremen Szene nutzen das hemmungslos für ihre politischen Ziele aus. Unsere Verfassung wird immer häufiger in Frage gestellt. Der Bundesregierung faschistisches Verhalten nachzusagen und die angeblich fehlende Meinungsfreiheit zu beklagen ist absurd. Dass sich Querdenker und andere mit Opfern des Nationalsozialismus öffentlich vergleichen wie mehrfach geschehen, ist eine nachträgliche und widerliche Verachtung von Sophie und Hans Scholl, Anne Frank und vielen Millionen anderen Opfern. Es ist auch eine Verhöhnung der mittlerweile 49 in unserer Stadt an bzw. mit Corona verstorbenen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die wir in unsere Gedanken und Gebete einschließen.
Meine Damen und Herren, ich habe aber auch anderes kennengelernt: Nachbarschaftshilfe, Engagement rund um die Uhr, sowohl im Haupt- wie im Ehrenamt. Ohne die vielen engagierten Menschen, die sich an vielen Stellen dafür eingesetzt haben, würde unsere Stadt unter diesen schwierigen Rahmenbedingungen nicht so funktionieren. Am vergangenen Samstag haben Vertreterinnen und Vertreter aller Religionsgemeinschaften, der Politik und der Verwaltung gemeinsam Brot verteilt und den Menschen Mut zugesprochen: wir halten zusammen, Remscheid hält zusammen. Die Reaktionen waren bis auf ganz wenige Ausnahmen wohltuend. Ja, Remscheids Stärke ist auch das friedliche Zusammenleben von Menschen aus über 120 Nationen. Dieses Miteinander von allen Menschen unabhängig von Herkunft, Kultur, Religion und Lebensorientierung müssen wir weiter stärken.
Ich danke allen, die sich seit Monaten in der Pandemie quasi pausenlos um Sicherheit und medizinische Versorgung gekümmert haben. Das wird auch künftig so sein, wenn es ab dem neuen Jahr darum gehen wird, die Impfstrategie umzusetzen. Lassen sie mich ein Wort zum Standort des Impfzentrums sagen: ja, die Kommunikation war nicht glücklich. Dafür übernehme ich die Verantwortung. Aber ich weise die Kritik zurück, wir hätten einen Kompromiss eingegangen, auch die völlig unangemessene Kritik des Sportbundes. Allen sollte klar sein, dass wir unter Hochdruck einen geeigneten Standort ausgewählt haben, nachdem zuvor viele miteinander verglichen wurden. Während wir aber in der Lage sind, den die Halle West nutzenden Vereinen Alternativen anbieten zu können, wäre das für den einzigen Bundesligisten unserer Stadt am Hackenberg nicht möglich gewesen. Und davor konnten wir nicht die Augen verschließen. Allen muss aber klar sein, dass die gesundheitliche Versorgung an erster Stelle zu stehen hat! Sie genießt ohne wenn und ohne aber absoluten Vorrang! Eine Anmerkung: Während wir diskutieren, ob West genauso praktisch und erreichbar ist wie Hackenberg, müssen die Menschen aus dem Oberbergischen vermutlich bis nach Gummersbach fahren. Ich weiß durch Telefonate, dass die unsere Sorgen gerne hätten.Corona lässt uns spüren, was fehlt. Das gilt für alle Bereiche unseres Lebens.
Es gilt auch in besonderer Weise für das kulturelle Leben in unserer Stadt. Von kleinen aber äußerst lebendigen Initiativen in Stadtquartieren bis zu den großen Häusern wie das Teo Otto Theater oder die Klosterkirche. Wir vermissen die bunten, vielfältigen Angebote der Kultur in unserer Stadt. Das scheinbar so Selbstverständliche ist so wissen wir heute alles andere als selbstverständlich. Kunst und Kultur leiden unter der Pandemie. Bund und Land haben Hilfsprogramme aufgelegt, um das Überleben von Kunst und Kultur in der Krise zu ermöglichen. Remscheid hat in einem außergewöhnlichen Kraftakt eine Nothilfe für die Kultur in unserer Stadt gestemmt. 200.000 Euro konnten auf diese Weise an Kunst- und Kulturschaffende verteilt werden. Das ist ein starkes Beispiel für den Zusammenhalt in unserer Stadt. Wir wissen aber auch, dass das Ende der Krise noch nicht in Sicht ist. Deshalb werden wir auch in den kommenden Monaten uns Gedanken darüber machen, wie das Kultur- und Kunstleben wieder erstarken und erblühen kann. Wir alle sind dazu eingeladen, Ideen und Vorstellungen in diesen Prozess einzubringen. Es gilt: Remscheids Stärke ist seine kreative Vielfalt von Ideen!
"Gemeinsamer Verantwortung für unsere Stadt bewusst sein" vollständig lesen