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Der Zeichenzwang und die Einführung der Zeichenrolle (II)

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Teil II

Die größten Schwierigkeiten entstanden dem Bergischen Gewerbe durch das Nachschlagen seiner Warenzeichen im Märkischen Gebiet, das namentlich von ausgewanderten Schmieden betrieben wurde. Zwar bedrohte das Privilegium von 1600 diese Überläufer als Eidbrüchige mit der Entziehung ihres Eigentums und dem Verlust ihres Zeichens. Aber jenseits der Landesgrenze stand der Weiterführung eines Zeichens natürlich nichts im Wege. Am 30. April 1790 wurde das Zeichen „der Hirsch" des Schmiedes Jakob Röllinghoff vom Handwerksgericht als verfallenes Gut versteigert, weil er ins Preußische ausgewandert war. Ähnlich erging es dem Feuerstahlschmied Gottfried Schlüter mit dem Zeichen der Pistole, als er 1798 ins Märkische zog. Engel Hartkopf sah sich im Jahre 1723 gezwungen, sein bisheriges Zeichen „die sieben Sterne" fallen zu lassen, weil es ihm nachgeschlagen wurde und die damit versehenen Waren in solchen Misskredit geraten waren, dass die Kaufleute Sensen mit den „sieben Sternen" nicht mehr abnehmen wollten. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts häuften sich die Klagen, dass eine ganze Reihe Bergischer Warenzeichen und gerade der ältesten und berühmtesten im Märkischen Gebiet wahllos auf minderwertige Sachen nachgeschlagen würden.

Als das alte Handwerk der Herstellung von weißen Sensen im Erlöschen begriffen war und die Herstellung von Werkzeugen mehr und mehr an seine Stelle trat, bestand die Hauptaufgabe des Cronenberger Handwerksgerichts in der Führung der Zeichenrolle und der Schlichtung von Zeichenstreitigkeiten. So musste der Sägen-„Fabrikant" Wilhelm Brand auf dem Hütz, dessen bewährte Warenzeichen „Blumenpott" und „Sonne" besonderen Angriffen ausgesetzt waren, mehrfach die Hilfe des Gerichts in Anspruch nehmen. Er beschwerte sich am 20. Februar 1777, „dass Engelbert Dussel auf dem Sudberg seinem Sägenzeichen „Blumenpott" zu nahe schlage", worauf dem Schmied Dussel die Verwendung dieses Zeichens bei einer Strafe von drei Reichstalern verboten wurde. Aber bei der nächsten Gerichtssitzung am 29. März suchte Engelbert Dussel sein Vorgehen durch die Ausrede zu entschuldigen, „er vermeine keinen Blumenpott son­ern einen Lilienpott auf seine Sägen zu schlagen." Dieses Zeichen habe er vor 16 Jahren von Engelbert Daum gekauft und zur Handwerksrolle angemeldet. Brand machte dagegen geltend, dass er den sogenannten Blumenpott, in Fletten (Nelken) bestehend, von seinem Vater ererbt, der das Zeichen ungehindert gebraucht und auch zur Rolle angemeldet habe, dass aber der Lilienpott demselben zunahe käme. Vogt und Ratmänner kamen zu dem Beschluss, den Parteien einen Vergleich vorzuschlagen, der auch angenommen wurde. Der Vermittelungsvorschlag ging dahin, „dass der Lilienpott hinfüro ein Lilienbaum geheißen werden solle und anstatt den Pott einen Baum mit der Wurzel, einen Lilienbaum (!) präsentiere, hingegen der Blumenpott mit den Fletten ein Blumenpott sein und bleiben solle und am Handwerksgericht nächstkünftig diese beiden eingesiegelt werden sollten".

Drei Jahre später musste Wilhelm Brand einen Kampf um sein zweites Zeichen, die „Sonne" führen. Dieses altberühmte, noch jetzt bestehende Warenzeichen wurde von seinem Besitzer auf Sägen geschlagen, die nach Deutschland, Flandern, Brabant und Holland gingen. Wilhelm Melchers in der Morsbach hatte Sägen mit derselben Marke zu einem billigeren Preise außer Landes verkauft. Er suchte sich mit den Worten zu verteidigen, „er wäre ein Kaufmann und kaufe seine Waren teils inner, teils außer Landes ein, und er bekümmere sich darum gar nicht, was der Fabrikant für ein Zeichen auf die Ware schlüge; er befehle den Fabrikanten, seinen, Melchers, Namen auf die Waren zu schlagen, aber er habe niemand im hiesigen Land Ordre gegeben, die Sonne auf seine Waren zu schlagen." Zwei von Brand vorgezeigte Sägen wurden von Melchers nicht als die seinigen anerkannt, so dass das Handwerksgericht nicht zu einem Urteil kommen konnte und die Entscheidung in dieser Angelegenheit vertagte. Wahrscheinlich handelte es sich auch in diesem Fall um Märkische Waren, die von Bergischen Kaufleuten vertrieben wurden.

Der Eintragung neuer Zeichen musste die Bekanntmachung in den Kirchen zu Remscheid, Cronenberg und Lüttringhausen vorangehen. Dadurch war den Inhabern ähnlicher Zeichen Gelegenheit geboten, ihren Einspruch geltend zu machen. Als Engelbert Böntgen zu Berghausen bei Cronenberg im Jahre 1783 den „Anker" als neues Zeichen für Feuerstähle und Zimmermannsgeräte eintragen lassen wollte, wurde von den Schmieden B. Pieper und Abraham Speisberg Widerspruch erhoben. Schließlich aber gestatteten sie dem Böntgen „aus Liebe", wie es in dem Bericht heißt, den Anker wenigstens auf seine Feuerstähle zu schlagen.

Von den zahlreichen Auseinandersetzungen sei nur noch eine aus dem Jahre 1790 erwähnt, die als Beweis für die Genauigkeit dienen möge, mit der die einzelnen Zeichen auf ihre Ähnlichkeit und Verwechslungsmöglichkeit geprüft wurden. Es handelte sich um die mit einem Kranz umgebenen Buchstabenzeichen ,,H" und „M" der Firmen Gebrüder Honsberg und Peter Johann Müller, von denen das erste eine Lilie, das andere eine Rose als schmückendes Beiwerk zeigt. Das Handwerksgericht stellte sich auf den Standpunkt, dass die inneren Striche der Buchstaben ,,H" und „M", sowie die Blumenzeichen beim Schleifen leicht verwischt werden, so dass die Möglichkeit der Täuschung vorliege und verurteilte den Übertreter der Verordnungen, der sein Zeichen eigenmächtig eingeführt hatte, zum Schadenersatz und zur Auslieferung des Prägestempels an den Handwerksvogt.

Wie schon bemerkt, konnten die Warenzeichen auch verkauft werden, aber nur an einen Handwerksgenossen. Wie Jungblut treffend nachweist, waren durch die Zeichenordnung der Sensenzunft alle Vorbedingungen eines wirksamen Warenschutzes erfüllt. Als solche führt er an die Zeichenpflicht, die Verpflichtung zur Bekanntmachung eines neuen Zeichens und das Widerspruchsverfahren, das Handwerksgericht als Zeichenbehörde und die Zeichenrolle. Gegen Zeichenverletzungen wurde durch Geldstrafen und Beschlagnahme der Waren eingeschritten. Es war kein Zweifel gelassen, dass die Warenzeichen als veräußerliches und vererbliches Gut angesehen wurden, und es bestanden genaue Vorschriften über den Erbgang. Auch ein Heimfall des Zeichens an die Zunft, wenn der Besitzer und dessen Erben verstorben waren, wenn er sein Zeichen an ein Nichtmitglied veräußerte, oder wenn er ins Ausland verzogen war und durch den Bruch des Verbleibungseides sein Zeichen verwirkt hatte, war in den Bestimmungen vorgesehen. Die Zeichenpflicht war von der Bruderschaft nicht um ihrer selbst willen gefordert, sondern sie bedeutete eine Maßnahme der zunftpolizeilichen Kontrolle. Die Herkunftszeichen ermöglichten die Kontingentierung der Gesamtproduktion und die Kontrolle über die Einhaltung des Verteilungsplanes. Auch die Gütekontrolle, die im Beisein des Kaufmannes und eines Vertreters des Handwerksvorstandes im Schleifkotten erfolgen musste, war nur auf Grund der Warenzeichen, die als Ursprungszeugnisse dienten, durchführbar.

Das mustergültig geordnete Zeichenwesen überdauerte den Wechsel der politischen Verhältnisse und konnte ohne Schwierigkeiten in den neuzeitlichen Warenschutz hinübergeführt werden. Die französischen Behörden des Großherzogtums Berg, die am 31. März 1809 die Handwerksbruderschaften und damit auch deren Zeichensatzungen aufgehoben hatten, mussten bald erkennen, dass die uneingeschränkte Freiheit auf diesem Gebiet vom Übel ist. Im Rheindepartement wurden durch Verfügung des Präfekten vom 3. April 1810 die früheren Bestimmungen zum Schutz der „Fabrikzeichen" wieder in Kraft gesetzt, und das Rheinische Strafgesetzbuch bedrohte die Verfälschung der Warenzeichen sogar mit Zuchthausstrafen. Das kaiserliche Dekret vom 17. Dezember 1811 über die Einrichtung der „Fabrikgerichte" im Großherzogtum Berg widmete dem Zeichenwesen in Anerkennung seiner Bedeutung einen besonderen Abschnitt. Die Zeichenrolle wurde auch unter der Fremdherrschaft von den Ratmännern Clemens und Abraham Tesche weitergeführt.  (nach: „Aus der Geschichte der Remscheider und Bergischen Werkzeug- und Eisenindustrie“ von Wilhelm Engels und Paul Legers, erschienen 1928 zum 25jährigen Bestehen des Arbeitgeber-Verbandes der Eisen- und Metallindustrie von Remscheid und Umgebung e. V., 1979 im Verlag Ute Kierdorf als Faksimile­druck neu aufgelegt.)


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